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Lost Places: Spontanes Fotoshooting in Gutshof von 1860

Lost Places, also vergessene Orte, liegen derzeit voll im Trend. Schließlich eignen sich diese oftmals halb zerfallenen, aber noch bestens ausgestatteten Gebäude hervorragend für faszinierende Fotos. Auch ich bin jetzt erstmals in ein solches Haus eingestiegen - nicht ganz freiwillig und mit spontanem Fotoshooting. 

Einen blühenden Kirschbaum haben wir entdeckt. (c) Ángel García
Einen blühenden Kirschbaum haben wir entdeckt. (c) Ángel García

Als ich mich an einem sonnigen Freitagnachmittag mit den anderen Praktikannten der Costa Blanca Nachrichten und unserem Fotografen auf den Weg durch Alicantes Hinterland gemacht habe, ahnte ich noch nicht, worauf ich mich am Ende des Tages einlassen würde. Geplant wat eine Bilderreportage über die Kirschblüte. Und so fuhren wir zu fünft in den kleinen Ford gequetscht, durch die Serpentinen der Sierra de Almudaina. Aufgrund der starken Regen Anfang des Jahres blüht es an der Costa Blanca wie nie zuvor: gelbe und lilafarbene Blumen soweit das Auge reicht - von der Kirschblüte jedoch keine Spur. Ein paar wenige Bäume blühten noch, jedoch sind viele Kirschbäume aufgrund des warmen Wetters bereits verblüht.

So machten wir einen Zwischenstopp in dem kleinen, verschlafenen Ort Almudaina, der maurischen Ursprungs ist. Zwischen arabisch geprägten Baustilen hätte ich vielleicht schon eine Vorahnung haben sollen: Viele verlassene, zum Teil eingefallene Häuschen. Der Ort menschenleer. Doch ich dachte mir nichts dabei, geno´ß mein Bocadillo (spanisches Baguette-Sandwich) und erfeute mich an dem Viadukt, unter dem wir auf der Wiese saßen und aßen. 

 

Und dann ging es los. "Ab jetzt müsst ihr mir vertrauen", erzählt unser Fotograf Ángel mit durchdringendem Blick. Und so fahren wir weiter die Serpentinen durch das Hinterland, soweit, bis dass wir die asphaltierte Straße verlasse und auf einen Schotterweg abbiegen. Es geht steil den Berg hinab. Es rumst und ächzt unter unserem Auto. Wem von den Serpentinen noch nicht schlecht ist, dem ist es spätestens jetzt. Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei, wir halten irgendwo mitten im Nirgendwo. Um uns herum nur karge Berge, Steine und Sträucher. Nach nur zehn Minuten Fußweg über die Ausläufe der umliegenden Berge taucht es vor uns auf wie aus dem Nichts. Ein altes Gehöft aus dem 19. Jahrhundert, genauer gesagt aus den 1860er Jahren. Die Fenster sind mit Brettern zugenagelt, zumindest dort, wo sich die Natur noch nicht ihren Weg hinein gebahnt hat. Ein großes schmiedeeisernes Tor versperrt uns den Weg. Also laufen wir um das Gebäude herum, entdecken ein Holztor, an dem einige Bretter fehlen. Auch dieses Tor ist verschlossen. Ein Blick hinein offenbart staunenswertes: Ein auf den ersten Blick gar nicht so alter blauer Landrover. Er hat sogar noch ein Nummernschild. Die Decke des Hauses ist fast komplett eingestürzt - wie durch ein Wunder stoppt ein heruntergekommener Balken kurz über dem Auto. Ángel bekommt nicht genug, führt uns weiter um das eingefallene Haus herum und findet endlich was er sucht: einen unverschlossenen, unvernagelten Eingang. Dass er mit Dornengestrüpp und anderem Unkraut zugewachsen ist, hält ihn nicht ab. Und so schlägt er uns allen den Weg frei. Während wir alle hinter ihm durch die Dornen, über Dachbalken und anderes Geröll klettern witzel ich vorsichtig, ob ein Unfall hier als Arbeitsunfall gilt und wie er das unserem Chefredakteur erklärt. Kleiner Spoiler vorab: Es ist zum Glück niemandem etwas passiert.

 

Auf Erkundungstour im verlassenen Gebäude. (c) Ángel García, CBN.
Auf Erkundungstour im verlassenen Gebäude. (c) Ángel García, CBN.

Mir war etwas mulmig, als wir hinein geklettert sind - von Bilder verschiedener Lost Places Vereine (wie zum Beispiel Vergessenes Magdeburg) präsentieren sich meistens düster und in mystischer Atmosphäre. Nicht so jedoch "unser" alter Gutshof. Durch das eingefallene Dach und die Risse in der Wand strahlt die spanische Mittagssonne. Das Licht ist toll, fast schon magisch. Unser Fotograf ist begeistert! Alte Ölpressen, leere Weinfässer, Wassergruben, schimmernde zerbrochene Weinflaschen und mittendrin der Landrover - sein Fotografenherz schlägt höher und so knippst er alles, was ihm vor die Linse kommt. Besonders angetan hat es ihm die obere Etage, die durch die halb zerfallene hölzerne Wendeltreppe zu sehen ist: Wandmalereien und Fließenmalereien aus dem 19. Jahrhundert schimmern farbenfroh, zum Teil abgeschlagen. Auch wir wagen uns alle einen Teil der Treppe hinauf, zum Schluss fehlen jedoch die Stufen. Und so klettern wir einer nach dem anderen resigniert die Wendeltreppe hinunter und begutachten den Landrover, in dem wir alte Kinokarten aus meinem Geburtsjahr finden. 

  

Das magische Licht und die zerstörte Atmosphäre ziehen uns alle weiter in den Bann. Ángel hat genug vom Haus fotografiert - jetzt sind wir dran. Und so entsteht ein spontanes und ziemlich lustiges Fotoshooting in der alten Ruine. Und so platziert er uns alle auf dem alten Landrover und schießt gefühlte hunterte Fotos. Wir kommen uns vor wie eine Teenie-Group aus den 90ern - und am Ende sehen die Fotos auch so aus. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir dort waren, es fühlt sich an wie Stunden. Dreckig und staubig klettern wir zurück durch die Dornen. Während ich die Ereignisse auf mich wirken lasse (und am liebsten sofort nach Hause zum Duschen will), sind die anderen angefixt von den alten Wandmalereien. Und so klettern sie zum Abschluss alle über den gut drei Meter hohen Zaun, um die Gemälde im Haus zu bestaunen. Doch ich habe genug Abenteuer für heute und warte draußen auf der Lichtung vor dem Haus. Nachdem einer nach dem anderen wieder zurück über den Zaun zu mir geklettert sind, geht es nach einem spannenden Tag wieder nach Villajoyosa zurück.

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Download Bilderseite Almudaina
Die Bilderseite über unseren Ausflug mit meinem Text aus der letzten Costa Blanca Ausgabe könnt ihr jetzt hier als PDF-Dokument herunterladen. Viel Spaß beim Lesen. :-)
CBN_1739_Bilderseite_Almudaina.pdf
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