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"Hile, Hile!" - Karneval op Sachsen-Anhaltinisch

Alaaf und Helau aus Groß Ammensleben! Bereits zum zweiten Mal war ich über Karneval nicht in Kölle, sondern in der Wahlheimat. In diesem Jahr habe ich zum ersten Mal einen Karnevalsumzug gesehen. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den Rosenmontagszug! Doch wie geht eigentlich "Karneval op sachsen-anhaltinisch"? Wie hier gefeiert wird und welche Worte hier gerufen werden, lest ihr hier.

An Weiberfastnacht habe ich auf Instagram einige meiner Kostüme der letzten Jahre gepostet mit der Bemerkung, dass ich dieses Jahr bereits zum zweiten Mal über Karneval nicht in Köln bin. Kurz darauf schrieb mir meine Kommilitonin Babsy, ich könne sie gerne zum Rosenmontagszug nach Groß Ammensleben begleiten. Spontan sagte ich ja, auch wenn ich wie so häufig in Sachsen-Anhalt erst einmal das Dörfchen googlen musste. 

Und so stand ich gestern das erste Mal wieder kostümiert am Bahnhof und wartete auf Babsy. Petrus schien mal wieder kein Kölscher zu sein, er schickte uns Sturmtief Bennet. Mehrfach fast umgeweht und schon ein wenig nass vom Regen, stiegen wir in den Bus nach Groß Ammensleben, nachdem wir den Zug verpasst hatten. "Ich weiß noch nicht, ob ich bis dorthin fahre Mädels", begrüßte uns der Busfahrer. Erstaunt blickten wir ihn an. Es schien, als wolle Sachsen-Anhalt mich nicht feiern lassen. "Da ist doch Karneval!", erklärte er geduldig. Und ich lernte: Der Zug startet am Bahnhof, der Verkehr ist schon eingeschränkt. Klingt wie in der Heimat, freute ich mich. Wir wurden kurz vor dem Ort raus gelassen - reinfahren ging nicht, die Karnevalswagen stellten sich schon auf. Und auch Petrus ist nicht nur ein Kölscher, er ist auch Karnevalist durch und durch. Pünktlich mit unserer Ankunft in Groß Ammensleben, ein Ortsteil der Einheitsgemeinde Niedere Börde mit knapp 1.400 Einwohnern, strahlte der Himmel blau und die Sonne in unser Gesicht. 

Wir stellten uns am Bahnhof auf und beobachteten das bunte Treiben. Nach und nach gesellten sich immer mehr Teilnehmer sowie Zuschauer dazu. Teils bunt kostümiert, teils nur mit einem bunten Accessoire bestückt, auch ganz wie bei uns. Laute Musik dröhnt aus den Boxen aus allen Ecken - bloß eben keine Kölsche. Partyhits vom Ballermann und andere laute Beats wummern mir entgegen. Das gefühlt meistgespielte Lied des Tages: "Johnny Däpp (Ich will Mallorca zurück)". In Köln hat mich das die Jahre über immer gestört, dass die "Ballermann-Mukke" unser kölsches Liedgut verdrängt, aber hier stört es mich nicht. Und plötzlich ohne Vorwarnung setzt sich der Rosenmontagszug in Bewegung. Allen voran eine kleine Lokomotive die, wie ich von Babsy erfahre, jedes JAhr den Anfang bildet. Organisiert wird der Karnevalsumzug übrigens vom Gauseberger Karnevalverein Rot Weiß Gutenswegen e.V. seit 1955. Die Idee dazu kam den Gutenswegenern beim Frühshopping im Gespräch mit einigen Rheinländern. Närrische Sprüche auf den großen und kleinen Wagen, buntkostümierte Fußgruppen und Funkemariechen - alles sieht aus wie in der Heimat. Zwischen viel Konfetti fliegen vor allem Bonbons und Lutscher in die Feiernden. Einfach so, die Zuschauer müssen dafür nicht einmal nach "Kamelle" rufen.

Das ist nicht der einzige Unterschied, den ich ausmache, als mir plötzlich ein lautes "Hile, Hile!" entgegenschalt. Das ist der Schlachtruf der Karnevalisten zwischen dem mir so unliebsamen "Helau!" Es ist der Ruf mit dem auch die Kindern vom Gauseberg, Plattdeutsch für Gänseberg, früher ihre Enten riefen. Eben dem Berg, nachdem der Karnevalsverein benannt ist. Manche Wagen wackeln und beben gefährlich - die Jecken singen und tanzen ausgelassen, feiern sich und das Leben. Die meisten Teilnehmer scheinen dem Karnevalsverein angehörig, aber auch Namen von umliegenden Dörfern lese ich auf den Wagen. Wir viele Gruppen im Zug dabei sind, weiß ich nicht. Ich lese eine Wagennummer 40, direkt hinter der Nummer 17. Na gut, ein Versuch war die Nummerierung wert. Aber es ist auch egal, denn als ich zwischen den "Helau" und "Hile, Hile!" rufen laut und deutlich ein "Da simmer dabei, dat is prima! Viva Colonia!" von einem der Wagen erklingen höre, schlägt mein kölsches Herz besonders laut. 

Nach etwa 40 Minuten ist der Rosenmontagszug des Gauseberger Karnevalsvereins auch schon vorbei. Vom Startpunkt Groß Ammensleben zieht er jetzt weiter ins knapp drei Kilometer entfernte Gutenswegen. Und wie die meisten Jecken schließen auch wir uns den Karnevalisten an und laufen mal hinter und mal neben dem Umzug den Berg hinauf nach Gutenswegen, wo der Zug endet. Zwischen riesigen Weiden laufen wir begleitet von Sturm Bennet fröhlich singend mit den Teilnehmern den Zugweg entlang. Hier und da bekommen wir einen Klopfer oder Popcorn ab. Wir schaffen es, den Zug zu überholen und können am Ortseingang noch einmal den Rosenmontagszug von Groß Ammensleben und Gutenswegen ansehen. Nachdem unsere Taschen voll sind mit Süßigkeiten und Dominosteinen aus Aachen, begleiten wir den Zug bis ins Dorf. Hier stehen in typischer Rosenmontagszugmanier sogar Absperrgitter. Gefühlt haben sich alle rund 700 Gutenswegener hier eingefunden, um zu sammeln, zu singen und zu tanzen. Wir werfen einen kurzen Blick ins Getümmel und sehen die schwarzen Wolken am Himmel aufziehen. 

Ein Blick auf die Uhr zeigt außerdem, dass wir uns auf den Heimweg machen müssen. Dieses Mal aber mit dem Zug, denn die Busse haben auch hier keine Chance mehr. Bis ich in meiner Wohnung in Magdeburg ankomme, bin ich sieben Stunden auf den Beinen, zähle über 15.000 Schritte und elf Kilometer Fußmarsch. Und merke: Feiern können die Sachsen-Anhaltiner ebenso, wie die Rheinländer. Bloß die Musik, die Schlachtrufe und Größenordnung unterscheidet sich. In diesem Sinne: Dreimal "Hile, Hile!" und "Kölle Alaaf!"

Bildergalerie: Rosenmontagszug in Gutenswegen/Groß Ammensleben

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